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Großbritannien hat gewählt: Hoffnung in Zeiten des Rechtsrucks?

Seit dem 5. Juli 2024 ist Sir Keir Starmer Premierminister des Vereinigten Königreichs. Mit einer satten Mehrheit stellt seine Labour Party nun die Regierung. Die Begeisterung der Wahlberechtigten für die britische Sozialdemokratie habe sich laut Medienberichten in Grenzen gehalten. Oftmals hört man davon, dass der „Erdrutschsieg“ für Labour vielmehr von der Unzufriedenheit über die Konservative Partei ausgelöst worden sei.

Die Tory-Partei stellte in den vergangenen 14 Jahren mit wechselnden Premiers die Regierung. Unter den Konservativen war auch das Brexit-Referendum abgehalten worden.

Dass die britischen Konservativen mit einer Wahlschlappe zu rechnen hatten, zeichnete sich schon über Wochen ab: In Umfragen lag Labour zuletzt etwa 20 Prozent vor der langjährigen Regierungspartei. Wenngleich die Sozialdemokraten schlussendlich nicht an die vorausgesagten 40 Prozent der Stimmen heranreichen konnten, ist das Ergebnis doch mehr als eindeutig: Großbritannien hat mehrheitlich für eine andere Regierung gestimmt, für Fortschritt und einen Richtungswechsel.

Zwar konnte mit Reform UK erstmals auch eine Partei rechts der Tories ins britische Unterhaus einziehen. Doch das Mehrheitswahlsystem auf der Insel verhinderte offensichtlich, dass sich die extremen Populisten um Nigel Farage derartig im Parlament breit machen konnten, wie es andere Rechtsaußen-Politiker in Europa aktuell schaffen.

Der neue Premier Keir Starmer wird in Medienberichten häufig als „Polit-Roboter“ dargestellt. Die Urteile reichen von langweilig bis seriös – es überwiegen vielfach aber die Stimmen, die meinen: Genau diese vermeintliche Langweiligkeit ist es, die die britische Politik aktuell braucht. Scheinbar sehen das auch viele Wähler so. Durchaus nachvollziehbar, wenn man die unzähligen Debakel um Boris Johnson, Liz Truss und die Konservativen im allgemeinen bedenkt.

Natürlich fällt es aus kontinental-europäischer Perspektive zuweilen schwer, die Gefühlslage der Briten einzuschätzen. Aber: Die britische Wahl ist auch für die weiteren Demokratien in Europa bedeutsam.

Wer sich über Keir Starmer informiert, ließt über das Kind einer Arbeiterfamilie, das sich hochgearbeitet hat: Hoch zu einem renommierten Menschenrechtsanwalt, hoch bis zum Ritterschlag. Hoch bis zum Labour-Vorsitzenden, hoch bis zum Premierminister. Starmer gilt als Sachpolitiker – und das in einer Zeit des aufstrebenden Populismus!

Ja, auch Farage war erfolgreich. Ja, auch der rechte Populist sitzt im Parlament. Doch Großbritannien steht derzeit nicht vor dem Problem, dem demokratische Politiker in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Italien und Österreich in die Augen blicken müssen: Die extreme Rechte ist im Vereinigten Königreich bisher erfolgreich klein gehalten worden. Der Labour-Sieg gibt Hoffnung, dass der Weg in ein rechtsextremes Europa keinesfalls vorgezeichnet ist.

Auch die Labour Party hat vermutlich Probleme, die Menschen von ihrer Politik zu überzeugen – und nicht nur von den Schwächen der konservativen Konkurrenz. Dennoch: Mit Labour unter Keir Starmer steht dem Vereinigten Königreich vorraussichtlich eine durchaus stabile Regierung mit Projekten bevor, die vielen Briten zugute kommen könnte.

Um weitere Wählerschichten anzusprechen war Starmer in den vergangenen vier Jahren als Labour-Vorsitzender auch darum bemüht, seine Partei wieder in die politische Mitte zu führen. Weg von dem weit linken Kurs seines Vorgängers Jeremy Corbyn. Interessant ist das insofern, weil sich der prozentuale Anteil der Labour-Stimmen insgesamt nur um wenige Punkte erhöht hat.

Das Versprechen Starmers ist mehrschichtig: Zum einen ist da der Slogan „Change begins now„, also: Jetzt beginnt die Veränderung. Zum anderen möchte der neue Premier das UK in „ruhigere Gewässer“ führen, und auch zu mehr Seriosität in der Politik. Die umschreibt er als Dienst an der Gesellschaft. Nach 14 Jahren konservativer Regierung wird vielfach darauf hingewiesen, dass der angestrebte Veränderungsprozess schwierig werden dürfte.

Es bleibt zu hoffen, dass Starmer seine Ziele unter einen Hut bekommen kann, denn die könnten gut zur britischen Gefühlslage passen: Die Krisen der Tories waren genug – Zeit für sachliche Politik. Versucht man, sich in die Briten hinein zu versetzen, ist das mehr als verständlich. Auch Kontinentaleuropa könnte mehr Sachlichkeit sicherlich gut gebrauchen. Und wer weiß: Vielleicht nähert sich das UK unter Starmer auch wieder mehr an die EU an. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Beitragsbild: © UK Parliament / Maria Unger, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Direkte Demokratie: Fluch oder Segen – Chance oder Risiko?

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Fabian Schaar
Autor und Sprecher

Unsere Demokratie wird heute von unterschiedlicher Seite bedroht, zum Beispiel durch Desinformation und Destabilisierungsversuche von autoritären Regimen aus dem Ausland aber auch durch antidemokratische Parteien im Inland. Erst jüngst sorgte die politisch motivierte Gewalt gegen den Europaspitzenkandidaten der sächsischen SPD Ecke für einen Skandal. Dieser führt nur zu deutlich vor Augen, wie gefährdet der demokratische Diskurs in Deutschland aktuell ist.

Doch nicht erst seit Matthias Ecke niedergeschlagen wurde, gibt es eine zunehmende Verrohung und Polarisierung des gesellschaftlichen Miteinanders in der BRD: Schon seit Jahren demonstrieren Wutbürger gegen die Demokratie, die ihnen überhaupt das Recht gibt, ihre Meinung frei zu äußern. Schon seit der Corona-Pandemie haben sich extreme Randgruppen der Gesellschaft stark radikalisiert. Schon seit Jahren steht die rechtsextreme AfD in ostdeutschen Bundesländern wie Sachsen auf den vordersten Plätzen in Umfragen und Wahlergebnissen.

Während in Ostdeutschland um die 25 bis 30 Prozent der Menschen bereit wären, gegen die Demokratie zu stimmen, kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: Etwa ein Viertel der Menschen in Deutschland geht schlicht nicht zur Wahl. Die letzte Bundestagswahl im Jahre 2021 hatte zum Beispiel eine Wahlbeteiligung von 76,6 Prozent. Woran liegt das? Vielleicht an Unentschlossenheit, vielleicht an Gleichgültigkeit, oder aber: An einem gewissen Politik-Verdruss.

Wenn sich ein Viertel gar nicht beteiligt oder Rechtsextremen zweistellige Ergebnisse beschert werden, wird die Demokratie gefährdet. Egal, woran das liegt: Hier besteht Handlungsbedarf auf politischer Ebene. Denn wenn Rechtsextreme nicht früh genug eingedämmt werden, drohen nicht zuletzt auch unklare Mehrheitsverhältnisse. Und dass diese für mehr Zufriedenheit und Zuversicht sorgen würden, darf man bezweifeln.
Parteiverbote etwa gegen die AfD sind derzeit stark umstritten. Wenn ein solches erfolgreich wäre, wäre das sicherlich auch ein Gewinn für die Demokratie.

Dennoch ist der Grund, weswegen die AfD heute gewählt wird, damit noch nicht aus der Welt geräumt. Noch immer wären Menschen unzufrieden und würden womöglich eine andere extreme Partei aus Protest oder Überzeugung wählen. Mit einem Parteiverbot wäre noch keine extreme Ideologie ausgeräumt. Fast wirkt es, als könnte man so nur Zeit gewinnen, um die Demokratie, ihre Institutionen und das demokratische Miteinander zu stärken.

Was es braucht, wäre mehr Begeisterung für die Chancen, die die Volksherrschaft bietet: Um Demokratiefeinden das Wasser abzugraben, muss ihre Ideologie bloßgestellt und ad-absurdum geführt werden. Eine kontroverse Möglichkeit, den notwendigen demokratischen Enthusiasmus zu schaffen sind direkt- und basisdemokratische Verfahren.

In politischen Diskussionen hört man oftmals davon, dass plebiszitäre Elemente in einer repräsentativen Demokratie aufgrund einer möglichen Ausnutzung durch extreme Politiker vermieden werden sollten. Mit Blick auf die deutsche Geschichte wird argumentiert, dass die Abschaffung der direkt-demokratischen Elemente der Weimarer Verfassung mit dem Grundgesetz auch eine Lehre aus dem Scheitern der ersten deutschen Demokratie sei.

Doch mit einer solchen Argumentation blendet man auch die Chancen aus, die direkte Demokratie bietet: Zum Beispiel eine Möglichkeit, Demokratie lebendiger und lebhafter zu gestalten. Wenn Volksabstimmungen und -initiativen genutzt würden, könnte das ein wichtiges Signal senden, auch an Politik-Verdrossene: Eure Stimme wird gehört – und sie ist wichtig.

In demokratietheoretischen Diskussionen sollte außerdem nicht vergessen werden, dass Hitler im Endeffekt nicht durch einen Volksentscheid an die Macht gekommen ist. Das lag maßgeblich auch an der Verführbarkeit des antidemokratischen Reichspräsidenten von Hindenburg, der Hitler schließlich zum Reichskanzler ernannte. In bestimmten Punkten war die Weimarer Verfassung schlicht wehrlos gegen eine Ausnutzung radikaler Politiker – ob die Plebiszite dazu zählen, ist strittig.

Direkte Demokratie zu fördern wäre ein Versuch. Würde er falsch umgesetzt, wären damit sicherlich einige Risiken verbunden, und es ist verständlich, dass viele diese nicht eingehen möchten. Doch derzeit wissen Rechtsextreme genau auszunutzen, was ihre Wähler triggert.

Tatenlosigkeit und Aussitzen scheinen also auch keine passende Strategie für den Umgang mit Antidemokraten zu sein. Demgegenüber vermitteln Plebiszite realitätsnah ein Gefühl von Mitbestimmung, dass unsere Demokratie gebrauchen könnte – gerade für die Zukunft.

Vielleicht wäre es heute an der Zeit, unsere Verfassung wehrhafter zu machen und gleichzeitig über mehr Möglichkeiten nachzudenken, wie Bürger an demokratischen Prozesses beteiligt werden können. Und zwar nicht nur gelegentlich bei Wahlen. Wenn das Grundgesetz oder bestehende Gesetze nicht von Volksentscheiden angetastet werden könnten, wäre es möglich, letztere für konkrete Sachfragen der Tagespolitik zu nutzen. Albträume wie ein Dexit oder eine Wiedereinführung der Todesstrafe würden so wohl kategorisch verhindert.

Desweiteren könnte man gewisse Sicherheitsnetze schaffen, um Plebiszite in die Strukturen der repräsentativen Demokratie in Deutschland einzubetten: Volksentscheide könnten durch das Parlament veranlasst werden. Sobald eine Entscheidung mit absoluter Mehrheit gefunden wäre, könnte es eine Kontrollabstimmung im Bundestag geben, welche das Gesetz in den regulären Gesetzgebungsprozess weitergeben könnte. Somit wäre eine relativ sichere Umsetzung basisdemokratischer Prinzipien geschaffen, welche dennoch wesentlich direkter wäre, als bestehende Möglichkeiten wie etwa Petitionen.

Gerade heute sollten sich Demokraten die Demokratie nicht von deren Gegnern nehmen lassen. Im Gegenteil: Heute gilt es, die Demokratie zu stärken. Plebiszite bieten dahingehen große Chancen. Wir sollten sie mit Bedacht nutzen, auch um politisch-demokratischen Krisen aus dem Weg zu gehen.

Quellen und weiterführende Links:

Dieser Podcast enthält den Song „Our Ego [Feat. Different Visitor]“ von Broke For Free (via FreeMusicArchive). Dieser steht unter der Lizenz CC BY. Weitere Informationen: https://freemusicarchive.org/music/Broke_For_Free/Slam_Funk